Psychokunst/ Timo Maier (DE)

Überall Bilder, überall Botschaften. Das sind wir gewöhnt. Die Fratze der Wirklichkeit stürmt von allen Seiten, von oben und unten, als Ton, als Wort, als Bild, bewegt und unbewegt auf uns ein. Aber das kriegen wir gar nicht mehr mit. Die psychologisch komponierten Farben, Klänge, Räume, Wege und Düfte aus den IT-Werkstätten wollen uns in den Konsumismus terrorisieren. Na und? Wir wissen das doch alles, kennen das in- und auswendig, sind dermaßen überflutet, dass wir es einfach satt haben. Abschalten – Ausblenden. Über die Jahre haben wir das Ausblenden perfektioniert, es perfektionieren müssen. Aus Notwehr gegen die Bilderflut, aus Notwehr gegen die Ideologiekritik.

Doch die Fragen, wie und ob die oft konfus und beliebig anmutenden Medienerzeugnisse auf uns wirken, ob hier tatsächlich noch Sinn erzeugt wird, der das Bewusstsein auf das herrschende System zu konfigurieren versucht, bleiben. Oder sind alle Klagen etwa gegenstandslos, alle Unterstellungen der Medienmanipulation nur einer anachronistischen linken Ideologie geschuldet?

Eines scheint zumindest festzustehen: Alles ist Lifestyle. Lifestyle, so hieß laut Wiki ein britischer TV-Sender, der von 1985 – 1993 im Wesentlichen all jene TV-Formate aus den USA hierzulande im Original übertrug, die heute als nationale Ableger fest etabliert sind: Talkshows, Soaps, Teleshopping. Kinderkanal. Alternativ bietet Wiki noch einen andere Begriffsdeutung an, nämlich Lifestyle für Lebensstil oder auch Lebensart. Erstes Bild unter der Definition zeigt zwei Hippies auf einer Waldlichtung im Jahre 1981, wie sie entspannt vor dem selbst gebastelten Wohnmobil sitzen, einem fahrenden Holzhaus mit liebevoll dekorierter Miniveranda samt Schaukelstuhl, und irgendetwas basteln. Angesichts dieser Definition von Lifestye kommt man zu dem Schluss, dass der britische TV-Sender gewonnen hat. Von dem Lebensgefühl der Waldlichtung zumindest, einem Ort ohne Magazine, Plakate, Treppenwerbung, Flyern, Schildern und Bildschirmen in allen nur erdenklichen Größen zum Hinstellen, Tragen, Aufhängen, An- und Aufziehen, sind wir weit, sehr weit entfernt. Deswegen blenden wir aus, romantisieren die Waldlichtung und flüchten uns innerlich an feine Orte, die wiederum zu festen Motiven der Werbe- und Medienwelt geworden sind. Nur mit Handlungsaufforderungen und Preisschildern versehen. Unsere Köpfe als Schlachtfeld multimedialer Stimulanzen, unsere Herzen werden tagein tagaus mit Imperativen und künstlichen Farben bombardiert, unsere Träume sind Psychospielplätze der Werbebranche. Eine Gesellschaft im Zustand konsumistischer Dauererregung.

So erscheint es zumindest aus dem Blickwinkel des spanischen Künstlers Rallito-X, der die neuronalen Experimentierflächen des ubiquitären Medienrauschens, also uns, zurückgewinnen will, in dem er per Schocktherapie den Verstand des Rezipienten zum Ausstellungsort seiner Kunst macht. Die Innenwelt, Emotionen und Verstand müssen bewegt, müssen in Schwingung gebracht werden, sollen sich auflehnen gegen die kruden, diktierten, konfusen Bilder und Botschaften. Er gibt der Wirklichkeit ihre Fratze zurück und lässt die neuen alten Schreckensbilder auf uns einstürzen. Dämonenaustreibung durch Psychoskulpturen.

Seine Methode ist die plakative Aufschlüsselung der Medienkultur und ihrer Mechanismen, indem er sie in das Gewand plumper Hässlichkeit kleidet. Sein konsequentes Abarbeiten an den Medienbotschaften hat zum Ziel, sie als das zu entlarven, was sie sind: Ein Gift für Herz und Verstand. So missbraucht er die Bilder, wie sie uns missbrauchen. Er macht sich in ihnen auf die Suche, fügt hinzu, formt um und löst heraus. Die Plakate, die Magazincover, die Flyer dienen ihm zeitweise als Fragmente seiner Raumwerke, in denen er die in vermeintlicher Schönheit erstrahlenden Modelle in monströse Erscheinungen verwandelt. Er setzt ihnen Medusenhäupter mit betäubten Augen auf, schraubt die Haken zurück ans heilige Kreuz, lässt uns in verschlingende vaginale Abgründe blicken und konfrontiert uns mit wuchernden Penissen, die gierig danach trachten unsere Hirne und Herzen zu ficken. Mal überschreibt er Vorhandenes, mal inszeniert er seine Dämonen auf den unbefleckten Wänden des öffentlichen Raums. Kurz, er enthüllt, wo immer er kann, die Impulse der Medien als menschenverachtende, wirre Formen christlicher Pornografie und Schreckensbilder des herrschenden Konsumismus. Er selbst entstellt nichts, im Gegenteil, er macht die Entstellung nur sichtbar. Auch die Worte sind schon da, Rallito-X ordnet sie nur neu an. Mit ins Gegenteil verdrehten Botschaften wie “Benutz kein Kondom – treib ab”, “Obama ist nicht schwarz” und “Jesus ist Hilter und meine Scheiße ist deine Scheiße” macht er die Beliebigkeit der Imperative offenkun

In letzter Konsequenz wird auch er zum Gorgonen, macht historische Persönlichkeiten zum persönlichen sexuellen Fetisch und onaniert sinngemäß auf Mao, auf Ratzinger, auf Thatcher – einfach mal abspritzen. Dann wird das Bild abgehakt und wie eine Jagdtrophäe in das räumliche Gesamtkunstwerk integriert, wo er die Bildnisse schonungslos auf den Betrachter einstürzen lässt. Was wie ein infantiler Spaß anmutet, ist die konsequente Nachahmung der bitteren Medienlogik: Der allgegenwärtige Alptraum macht vor keinem Halt, seine Fratze schaut mit tausendfachen Augen auf uns herab, ob wir sie noch wahrnehmen wollen oder nicht.